Die Sesselgärtnerin empfielt heute: Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt. (Achtung, langer Text!)
Ich gebe zu: Es ist ziemlich befriedigend, im mittleren Alter auf einmal Teil einer neuen Bewegung zu sein. Auch wenn die darin besteht, so etwas Altmodisches wie Gemüsebau zu betreiben. Noch vor sechs Jahren war das mächtig unsexy und die Leute schauten fassungslos, wenn ich erzählte, das ich im Sommer zum Arbeiten auf einen Biohof nach England fahre. Freiwillig? Nur gegen Kost und Logis?? – Inzwischen hat sich das Blatt gewendet: Die Kerbelrübe und der Gute Heinrich sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen und Gemüse ist das neue Gucchi. Zumindest wenn man in die Medien guckt. Da gibt es endlose Mengen an Berichten über ganz normal verrückte Leute wie bei uns im TIFU, die in ihrer Freizeit Kartoffeln setzen. Toll!
In der Permakultur heißt es: „Alles gärtnert.“ Das bedeutet, grob gesagt: Jedes Element im Garten trägt sein Teil zum Gelingen des Ganzen bei – der Regenwurm ebenso wie der Gärtner. Jetzt hebe ich das Ganze mal auf die gesamtgesellschaftliche Ebene, denn die gehört auch zum Konzept der Permakultur, auch wenn das zur Zeit nicht so sexy ist (aber das kann ja wieder kommen): Auf dieser Ebene „gärtnern“ auch die vielen Berichte in den Medien, egal wie schlampig oder trendhascherisch sie geschrieben sind. Sie tragen zum Gelingen des Ganzen bei. In unserem Falle heißt das: Sie bringen schwarze Fingernägel auf die Titelseiten und schubsen die Menschheit einkleines Stück weiter in eine zukunftsfähigere Richtung. Das ist ein großes, unverhofftes Glück.
Aber ich muss gar nicht lange schwatzen, denn der Münchner Journalist Martin Rasper bietet mit seinem gerade erschienenen Buch nicht nur eine hervorragende Übersicht über die vielen Projekte und Initiativen, die zur Zeit unter dem Schlagwort „Urban Gardening“ zusammengefasst werden, sondern er hat sich auch die Mühe gemacht, ein bisschen in die gesamtgesellschaftliche Tiefe zu gehen. Hilfreich war dabei sicher, dass der Autor Geologe gelernt hat, über internationale Kommunenerfahrung verfügt, seit vielen Jahren über Naturthemen schreibt und selbst auch gärtnert. Kurz, der Mann weiß, was eine Harke ist, und das merkt man dem Buch auf fast jeder Seite an.
Für „Vom Gärtnern in der Stadt“ hat Martin Rasper solide und mit persönlichem Interesse recherchiert und viele der maßgeblichen Gartenprojekte in Deutschland besucht. Was er z.B. über die Prinzessinnengärten in Berlin oder die „essbare Stadt“ Andernach erzählt, weckt den Wunsch, schnell (noch mal) selbst hinzufahren. Im Laufe des Buches deckt er die wichtigsten neuen Gartentypen ab, bleibt dann aber nicht wie die meisten auf der Ebene der kurzweiligen Reportage stehen, sondern liefert auch die Hintergründe und subversiveren Elemente des „neuen Gärtnerns“. Wir machen das ja schließlich nicht nur wegen der frischen Luft und um was Sinnvolles mit den Kindern zu unternehmen! Daher empfehle ich, neben all den vielen anderen schönen Kapiteln, in denen es um alle möglichen Themen von den urban farms in Detroit bis zum Korbinianspafel geht, besonders das Kapitel „Der politische Garten“. Erstens, weil Rasper darin über seinen Besuch bei Vera und Arndt vom „Hof vorm Deich“ in Reitbrook berichtet, zweitens, weil er dort den großartigen US-Autor Michael Pollan zitiert und drittens, weil er dort die Zusammenhänge zwischen Gemüseanbau, Ernährung, Umweltzerstörung, Weltwirtschaft und politischer Anteilnahme erklärt – besser als ich das an dieser Stelle tun könnte. Viertens und fünftens müsst ihr selbst rausfinden (bei Ratlosigkeit lest die „Zehn Thesen zu Zukunft der Stadt und des Gärtnerns“ am Ende des Buches). Man liest und freut sich einfach, dass es so viele Facetten derselben guten Idee gibt und so viele tolle Menschen ihre Zeit, Kreativität und Energie aufs Gärtnern verwenden und nicht aufs Twittern oder die Behäkelung von Verkehrsinseln.
Das Buch ist abschließend auch deshalb klasse, weil das TIFU darin vorkommt. Und zwar auf Seite 198. Da heißt es über uns: „Permakulturgarten im Volkspark. Am Südrand des Volksparks entsteht seit zwei Jahren auf rund 7.000 Quadratmetern ein anspruchsvolles Permakulturprojekt. Waldgarten, Spalierobsthecke, Wildblumenwiese, Bienenstöcke und reichlich Beete sind schon vorhanden, vieles mehr ist geplant.“ Recht hat er … und wir freuen uns, bei Martin Rasper in der guten Gesellschaft von Gartendeck, GrünAnTeil, dem Interkulturellen Garten Wilhelmsburg und Keimzelle genannt zu werden.
Mein Tipp: Lest dieses Buch so bald wie möglich, denn es besteht berechtigte Hoffnung, dass Raspers Stand der Dinge bald von der Wirklichkeit überholt wird. Wenn alles so läuft, wie wir es uns erhoffen, ist dies erst der Anfang. Es wird immer mehr Projekte geben und immer mehr kompetente urbane KartoffelsetzerInnen. Irgendwann wird das Gärtnern in der Stadt so normal sein, dass wir nicht mehr in den Schlagzeilen sind. Dann werden wir auch nicht mehr um unsere Flächen betteln müssen. Und aus den Gärten entwickeln sich andere neue Formen des urbanen Miteinanderlebens, die alle hoch willkommen und nötig sind, wenn wir noch was von der Zukunft haben wollen. Kluge, gut geschriebene Bücher wie dieses helfen bei diesem Prozess. Ich bin gespannt auf die zweite, überarbeitete Auflage!
Martin Rasper: Vom Gärtnern in der Stadt. Die neue Landlust zwischen Beton und Asphalt
208 Seiten, oekom verlag München 2012
ISBN-13: 978-3-86581-183-7, 19,95 Euro